Das neue Erstversorgungsmodell: zum Stand der Dinge

Die Experten Mag. Gabriele Jaksch, Ursula Frohner und Dr. Johannes Steinhart beim 79. Gesundheitspolitischen Forum.

2014 wurde das Konzept zum neuen Erstversorgungsmodell beschlossen, im April 2015 eröffnete mit dem „PHC Medizin Mariahilf“ das erste Primärversorgungszentrum nach internationalem Vorbild und an einem PHC – Gesetz wird seit Monaten gefeilt. Was ist nun der Status Quo von Primary Health Care in Österreich? Ein Versuch, die Causa von mehreren Seiten zu beleuchten.

 

Wo bleibt die Reform?

Ursula Frohner, Präsidentin des ÖGKV, machte anlässlich des 79. Gesundheitspolitischen Forums im Juni noch einmal auf die Notwendigkeit einer Reformierung des Erstversorgungsmodelles aufmerksam: Dieses muss flächendeckend für alle zugänglich sein - was in Österreich nach wie vor nicht der Fall sei.

Österreich hinkt mit seinen Reformvorhaben nicht nur dem eigenen Zeitplan, sondern auch dem europäischen Vergleich hinterher: Es zählt zu den Ländern mit der niedrigsten Primärversorgungsdichte.

Wie bei so manch anderem gesellschafts- und gesundheitspolitischen Thema wanderte der Blick daher lösungssuchend unter anderem nach Skandinavien.

Vernetzt wie im Hohen Norden

In Schweden entlasten „Nurse- led Clinics“ überfüllte Krankenhausambulatorien; in Norwegen spezialisieren sich von Pflegepersonal geführte „Health Living Centers“ auf Raucherentwöhnung, Gesundheitsförderung und Patienten mit Depressionen.

An Modellen für die Verbesserung der Primärversorgung mangelt es nicht, ebenso wenig am Personal, denn sämtliche Gesundheitsberufe sollen zukünftig miteinbezogen und ihre Kompetenzen entsprechend erweitert werden.

An der Bereitschaft zur Veränderung von Kompetenzbereichen und stärkeren Vernetzung müsse man jedoch noch arbeiten, soviel stand für die Forum - Vortragenden fest. Multiprofessionalität und Interdisziplinarität waren daher die Schlüsselbegriffe in einem weiteren Vortrag von Mag. Gabriele Jaksch, Präsidentin von MTD-Austria. Sie sind auch tragend in der gesamten Debatte um die Reform.

The Austrian Approach: PHC Medizin Mariahilf

Ursprünglich eine Gruppenpraxis dreier Allgemeinmediziner, nun das erste umgesetzte in einer Reihe von geplanten Modellprojekten:

Im April eröffnete das Zentrum Medizin Mariahilf. Es hat 50 Wochenstunden geöffnet und seine Angebote wurden mit jenen des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern abgestimmt - Patienten sollen so die richtige Behandlung zur richtigen Zeit am richtigen Ort erhalten.

Sowohl Mag. Ingrid Reischl (Obfrau der WGKK) als auch SPÖ -  Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger verzeichnen das Projekt als einen Erfolg. Mehr noch: Die NEOs halten den Zugang „von der Gruppenpraxis zum PHC – Zentrum“ für den ultimativ österreichischen Zugang, da sich das skandinavische Vorbild hierzulande nicht einfach 1: 1 umsetzen lasse.

Das PHC – Gesetz: Notwendig?

Trotz Ablehnung von Seiten der ÖVP und FPÖ arbeitet das Ministerium seit Längerem an einer Gesetzesgrundlage für die neuen Erstversorgungszentren. Die Verhandlungen mit der Ärztekammer schreiten langsam voran, denn der Gesetzesentwurf traf nach seinem Erscheinen zunächst auf große Ablehnung von Seiten der Ärztekammer:

Präsident Artur Wechselberger meinte, das Gesetz sei gar nicht nötig – geringfügige Änderungen im Ärztegesetz und im ASVG würden ebenso reichen, wie man bei der Öffnung des Zentrums in Wien schon bewiesen habe. Auch die Grünen standen den Vorschlägen der Regierung kritisch gegenüber. Sie orten Zentralisierungs- und Privatisierungsvorhaben.

Inhaltlicher Anstoßpunkt zu solchen Annahmen: Das Vorhaben des Ministeriums, einen eigenständigen Gesamtvertrag für Ärzte in den Erstversorgungszentren zu schaffen. Zusätzlich will man Einzelverträge schaffen, die eine höhere Wertigkeit als die Gesamtverträge haben.

Entmachtung der Hausärzte?

Durch die Loslösung des Gesamtvertrages von der Ärztekammer seien Hausärzte in den PHC–Zentren, so Wechselberger, in Zukunft der Sozialversicherung „ausgeliefert“. Auch fürchtete er, es könnte zu erheblichen Lohnunterschieden und Preisdumping kommen.

Dr. Johannes Steinhart, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der ÖÄK, warnte vor langfristigen Auswirkungen auf die Qualität der medizinischen Versorgung.

Unverständnis auf Seite der WGKK

Ingrid Reischl zeigte kein Verständnis für solche Befürchtungen: Sie wies darauf hin, dass Einzelverträge notwendig sind, um längere Öffnungszeiten und umfassende Patientenbetreuung zu gewährleisten.

Außerdem sind Einzelverträge im ASVG vorgesehen, sofern die Ärztekammer zustimmt. Auch die Honorare von Ärzten in den Zentren würden sich nicht von jenen in Einzelordinationen oder Gruppenpraxen unterscheiden.

Laute und leise Stimmen. Und die, die man nicht hört.

In der Debatte um das neue Erstversorgungsgesetz dominieren medial die GKK, das Ministerium und die Ärztekammer. Der Fokus liegt bei den Hausärzten. Die Stimmen der Pflege und anderer medizinischer Berufsgruppen gehen daneben unter – dabei sollte gerade eine Vernetzung aller im medizinischen Bereich Tätigen der Kern des neuen Modells sein. 

Dass ein Bedürfnis nach einer von parteipolitischem Denken losgelösten, optimierten Interessensvertretung für die einzelnen Sparten besteht, ist unbestreitbar: Erst vor Kurzem wurden etwa Schritte zur Gründung einer eigenen Pflegegewerkschaft eingeleitet.

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